Warum wir den WahlSwiper internationalisiert haben, wo wir Hilfe benötigen und Widerstand spüren

Matthias Bannert
4 min readMay 20, 2019

Es gibt Dinge, die findet prinzipiell jeder gut und unterstützenswert: Plastik aus dem Ozean fischen zum Beispiel, den Krebs besiegen, Wohlstand, Gesundheit oder Demokratie. Oder eine App, die Menschen über die Wahlen informiert und für eine höhere Wahlbeteiligung sorgt. Dachte ich zumindest.

Zur Bundestagswahl haben wir, also meine Kollegen und Freunde bei der Digital-Agentur MOVACT, eine Mischung aus dem Wahl-o-mat und Tinder herausgebracht: den WahlSwiper. Der erfreute sich über ein so großes Feedback (aus dem Stand mehr als eine halbe Million Nutzungen), dass wir unsere App und Website auch bei Landtagswahlen angeboten haben. Das ist inzwischen eine Ehre für uns. Wir arbeiten mit einem Team der Universität Freiburg um Prof. Uwe Wagschal, Professor für Vergleichende Regierungslehre, zusammen, das das Projekt WahlSwiper wissenschaftlich begleitet und beispielsweise die Fragenauswahl übernimmt. Somit ist auch eine politische Neutralität gewährleistet.

WahlSwiper für Europawahl heißt VoteSwiper

voteswiper.org

Zugegebenermaßen ist das Projekt sehr ambitioniert: Aber wir wollten den WahlSwiper unbedingt auch zur Europawahl anbieten. Und weil es eine Europawahl ist, natürlich am liebsten auch in ganz Europa. Dazu haben wir unsere ganze Technologie nochmal durchdacht — schließlich war eine Mehrsprachigkeit bislang nicht vorgesehen — und auch für die Zusammenarbeit mit einem großen Team haben wir ein CMS entwickelt. Nun gibt es den WahlSwiper außerhalb von Deutschland als VoteSwiper und das — darauf sind wir besonders stolz — als eine einheitliche App und Website.

Warum das Ganze? Wir wählen ein gemeinsames Parlament und da ist es nur logisch, auch eine gemeinsame Wahlhilfe anzubieten. Eine, die für alle nach einem gleichen, einfachen Prinzip funktioniert, die aber trotzdem die länderspezifischen Parteien beinhaltet und dementsprechend auch länderspezifische Fragen. Im Grund genommen ist der VoteSwiper das digitale Spiegelbild der Europawahl.

Und wer finanziert euch?

Diese Frage hören wir ständig — und sie ist ja auch berechtigt. Die traurige Antwort ist jedoch: niemand. Wir haben uns im Vorfeld der Europawahl selbstverständlich um Fördermittel oder andere Sponsoren bemüht. Ein internationales Projekt mit diesem Koordinationsaufwand ist nicht mal nebenbei in der Freizeit zu stemmen. Das allerdings braucht viel Zeit und gute Kontakte.

Sterben lassen wollten wir unser Vorhaben jedoch trotzdem nicht. Mit viel Engagement in der Freizeit von mehr als 60 Freiwilligen in 15 Ländern (wir sind unendlich dankbar!) können wir den VoteSwiper bzw. WahlSwiper nun in Deutschland, Österreich, Finnland und Schweden anbieten. Andere Länder sollten folgen, aber einige große Parteien sind nicht sonderlich kooperativ.

Die Kosten für Personal bei Movact, Server, Lizenzen, Reisen und den notwendigen Datenschutzbeauftragten tragen wir bei Movact selbst. Ja, einfach so, weil uns das Projekt wichtig ist. Das war für viele Journalisten kaum zu glauben. „Aber ihr verkauft doch die Daten?“ „Wie, ihr macht keinen Umsatz damit? Aber warum macht ihr das denn?“

Das ist vielleicht das Traurigste, dass wir einander nicht zutrauen, einfach mal etwas für andere oder die Gesellschaft zu machen, ohne daraus einen eigenen (wirtschaftlichen) Nutzen zu ziehen.

Wo wir Hilfe benötigen und wo wir Widerstand spüren

Wir suchen — vor allem in Hinblick auf die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen (und seit dem Wochenende auch für die Nationalratswahlen in Österreich) — Kooperationspartner, vor allem im finanziellen Bereich.

Liebe Medien, der WahlSwiper lässt sich auch als Tool auf der eigenen Seite unkompliziert einbinden. Allerdings wundert mich da sehr die Zurückhaltung, auch die einiger Weggefährten aus dem Journalismus, die mich gut kennen. Ein großes deutsches Online-News-Angebot schrieb mir:

Wir haben allerdings eine langjährige Koop mit zwei anderen Tools und die stellen sich da etwas quer.

Stellen sich etwas quer? Was geht es bitte andere Tools (ich glaube, es ist offensichtlich, wer hier gemeint ist) an, ob wir ebenfalls mit Medien arbeiten? Und wieso lassen sich unabhängige Redaktionen vorschreiben, mit wem sie arbeiten? Es geht hier doch nicht um Geld, nicht um Kunden, sondern lediglich darum, möglichst viele Leute zur Wahlurne zu bewegen. Da sollte es nie genug Angebote für geben.

Ich denke, es ist ein Versuch wert, den Lesern mehrere Angebote zur Verfügung zu stellen. Einige Medienhäuser haben sich nicht einschüchtern (?) lassen und uns trotzdem — teils parallel zu anderen Angeboten — auf ihren Websites eingebunden. Danke an dieser Stelle an den Weser-Kurier, NOZ Medien, SVZ.de, News.de und einigen anderen Redaktionen.

Wir brechen uns keinen Zacken aus der Krone, wenn wir in diesem wichtigen Bereich der Wähleraktivierung und Demokratieförderung mehrere Angebote unterstützen bzw. zulassen. Das Europäische Parlament hatte mit dem Verweis auf der Kooperation mit dem Wahl-o-Mat ebenfalls Abstand von einer Unterstützung genommen.

Viel Zuspruch bekommen wir hingegen von kleineren Parteien, die beim WahlSwiper ganz selbstverständlich mit dabei sind und sich natürlich auch mit allen anderen Parteien vergleichen lassen. Beim Wahl-o-Mat ist dies nur mit acht (!) Parteien zeitgleich nötig und die im Parlament vertretenen Parteien stehen auf der Auswahlliste ganz oben. Wer steckt hinter dem Wahl-o-Mat? Die Bundeszentrale für politische Bildung, eine Behörde, die dem Innenministerium unterstellt ist. Die Partei Volt hat nun eine einstweilige Verfügung gegen den Wahl-o-mat erwirkt. Er darf ab sofort nicht mehr in dieser diskriminierenden Form angeboten werden.

Vielleicht ist es wirklich an der Zeit, in dem sensiblen Bereich Demokratie und Meinungsbildung auf Unabhängigkeit und Transparenz wert zu legen. Bei den kommenden Landtagswahl bietet sich wieder die Chance dazu.

Am Sonntag wird sich zeigen, ob die Gesamtheit der Angebote zur Parteifindung zu einer gestiegenen Wahlbeteiligung bei der Europawahl geführt hat. Das ist am Ende schließlich das, was wir alle miteinander erreichen wollen.

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